Eröffnung des EFNIL-Kongresses
Mannheim, Florenz, Brüssel und nun Stockholm: Das sind die Namen der Stationen,
in denen sich unsere zunächst informelle Gruppe schrittweise zu dem Netzwerk entwickelt
hat, das morgen eine feste Organisationsform gewinnen soll. Nach Tagungen
zu verwandten Themen in Brüssel, München und anderswo, traf sich Ende 2000 ein
Kreis von Vertretern von Sprachinstitutionen aus neun europäischen Staaten am
Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Dieser Kreis wurde 2001 an der
Accademia della Crusca in Florenz erweitert. Dort wurden auch die "Mannheim-
Florentiner Empfehlungen zur Förderung der europäischen Hochsprachen" als erstes
inhaltliches Programm diskutiert und angenommen. 2002 konnte die Nederlandse
Taalunie in Brüssel den Kreis von Sprachforschern und Sprachplanern aus den
Staaten der Europäischen Union beinahe vervollständigen. In Brüssel waren es
Vertreter aus 14 Staaten. Wir kamen dort überein, uns zu einer gemeinsamen
Organisation zusammenzuschließen. Dieser gaben wir den Namen "Europäische
Föderation nationaler Sprachinstitutionen", und das in unseren 11 Sprachen. Die
Gründung dieser Föderation soll nun hier in Stockholm abgeschlossen werden.
Was uns vereint, ist die Auffassung, dass der eigentliche Reichtum unseres
Kontinents nicht etwa in gewaltigen Bodenschätzen, Energiequellen oder
landwirtschaftlichen Ressourcen besteht, obwohl daran in Europa kein Mangel
herrscht. Den eigentlichen Reichtum Europas sehen wir in seiner kulturellen und
gesellschaftlichen Vielfalt. Und wir sind fest davon überzeugt, dass diese kulturelle
Vielfalt ganz wesentlich sprachlich basiert ist. Kultureller Reichtum ist ohne
sprachliche Vielfalt nicht möglich. Diese Überzeugung wird inzwischen auch von
einzelnen Politikern geteilt, die sich in ihren Staaten oder den Institutionen der
Europäischen Union für die Förderung der verschiedenen größeren und kleineren
Sprachen, einschließlich der Regional- und Minderheitensprachen, einsetzen oder
Programme zur Förderung der individuellen Mehrsprachigkeit der Europäer
entwickeln. Dominant sind in der Union aber weiterhin wirtschaftliche, soziale und
gelegentlich auch militärische Themen. Solche Themen wollen wir nicht gering
schätzen: Kultur braucht eine wirtschaftliche Basis und ein ausreichendes Maß an
Sicherheit nach innen und außen. Andererseits ist ein zwar ökonomisch
funktionierendes Europa, in dem es einigermaßen friedlich zugeht, jedoch eine
monolinguale, monotone Einheitskultur herrscht, kein erstrebenswertes Ziel.
Eine Besonderheit unserer jährlichenTreffen war und ist die fachliche Orientierung
der Teilnehmer: Wir sind weder Dolmetscher, Übersetzer, Fremdsprachenlehrer noch
sonstige Spezialisten für Mehrsprachigkeit, wenngleich einige von uns aus
mehrsprachigen Ländern kommen. Wir kommen von Institutionen, deren wissenschaftlicher
oder sprachplanerischer Auftrag auf die dominante Sprache oder die
Sprachen des jeweiligen Staates bezogen ist. Das Institut für Deutsche Sprache etwa
oder die Real Academia Espanola, die Nederlandse Taalunie oder auch die
Academia della Crusca sind keine Einrichtungen zur Erforschung oder Pflege der
Mehrsprachigkeit. Und auch das Institut für die Sprachen Finnlands in Helsinki ist in
seinem Auftrag auf eben diese Sprachen in Finnland beschränkt. Um die Förderung
der sprachlichen Vielfalt in Europa und die individuelle Mehrsprachigkeit der
Europäer zu propagieren, sind wir also auf den ersten Blick die falschen Leute. Wie
ich aber schon bei früheren Gelegenheiten gesagt habe, glaube ich fest daran, dass
wir letztlich doch die richtigen Leute sind. Es liegt im Interesse der Sprachen, für die
wir jeweils arbeiten, dass wir die entsprechenden Bemühungen unserer Partnerorganisationen
in den anderen europäischen Ländern nicht nur respektieren,
sondern auch von ihnen lernen und sie durch Erfahrungsaustausch und gemeinsame
Aktionen und Projekte unterstützen. Zu dieser Zusammenarbeit gehört auch unser
Einsatz dafür, dass die Bürger in unseren Staaten sich nicht mit ihren Landessprachen
zufrieden geben, sondern sich zu grenzüberschreitender Mehrsprachigkeit
entschließen, wenn nicht für sich selber, dann für ihre Kinder. Es ist jetzt nicht die
Gelegenheit, die Möglichkeiten und Grenzen aktiver und rezeptiver Mehrsprachigkeit
zu erörtern. Der naheliegende Gedanke, für den wir werben, ist jedenfalls: Wer für
die Entwicklung seine eigene Sprache sorgen will, sollte auch andere Sprachen
lernen. Und wer – wie ich – das günstige Sprachlernalter lange hinter sich hat, sollte
seine Kinder und Enkel zum Sprachenlernen ermutigen.
Zum Schluss nur noch eine historische Überlegung zum Wert der sprachlichen
Vielfalt Europas. Von Vertretern der Wirtschaft und manchen Politikern wird immer
wieder gesagt, die vielen Sprachen verursachten nicht nur große Kosten, sondern
erschwerten auch eine effektive Kommunikation und behinderten damit den
wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt. Eine Einheitssprache für alle
Europäer sei billiger und effektiver. Die Geschichte jedoch lehrt etwas anderes.
Europa war schon immer vielsprachig, hatte aber bis in zum Ausgang des Mittelalters
eine Einheitssprache für die Wissenschaften, die Kirchen, weite Bereiche des
Rechtswesens und der Politik. Es war das Gelehrtenlatein, das in allen unseren
Sprachen, auch den nichtromanischen Sprachen, deutliche Spuren hinterlassen hat.
Diese Einheitssprache sorgte aber keineswegs für wissenschaftlichen, wirtschaftlichen
und kulturellen Fortschritt, sondern eher für dogmatische Erstarrung in vielen
Domänen. Erst mit der Emanzipation der so genannten Volkssprachen vom Latein
entstand das moderne, kreative Europa. Die großen Literaturen der europäischen
Völker, die Renaissance in der Kunst, die moderne Philosophie, viele wissenschaftliche
und technische Entdeckungen sind nicht in einer Einheitssprache entstanden,
sondern aus der Vielfalt der europäischen Kultursprachen. Die Vorstellung, dass
Dante, Cervantes, Moliere, Shakespeare, Goethe und Andersen alle Latein
geschrieben hätten, ist absurd. Sie und andere Dichter, Philosophen und Wissenschaftler
haben in den Sprachen geschrieben, die seit dem 15. Jahrhundert nach und
nach zu voll entwickelten Sprachen geworden sind, das heißt Sprachen, in denen
man alles sagen und schreiben kann, was man jeweils weiß und mitteilen möchte.
Wir wollen mit unserer Föderation aus Sprachinstitutionen der Staaten der europäischen
Union dazu beitragen, unsere Sprachen in ihrer Vielfalt und ihrem Reichtum
zu erhalten und weiter zu entwickeln, und dies nicht nur in unserem eigenen Interesse,
sondern auch im Interesse der kulturellen und gesellschaftlichen Zukunft ganz
Europas.
Unsere Konferenz wird sich, wie aus dem Programm ersichtlich, mit zwei Aspekten
des Europas der Sprachen befassen: Zunächst wird die aktuelle Situation einzelner
Staaten und Sprachen dargestellt, besonders unter dem Aspekt der Veränderungen
und Gefährdungen in bestimmten Sprachdomänen. Als zweites Haupthema werden
die rechtlichen Bedingungen für Sprachgebrauch und Sprachentwicklung anhand
von Beispielen dargestellt und diskutiert. Abschließend wollen wir morgen in einer
Generalversammlung der Mitglieder die anstehenden organisatorischen Fragen
erörtern und hoffentlich konklusiv entscheiden.
Ein angemessener Dank an unsere Gastgeber muss wohl bis zum Schluss der
Konferenz warten. Aber schon jetzt möchte ich Olle Josephson und seinen Helfern
für die gute Vorbereitung danken. Ein empirischer Beweis für die Qualität der Vorbereitung
ist ja die Tatsache, dass wir zu so vielen gekommen sind. Danken möchte ich
auf jeden Fall schon jetzt in unser aller Namen unserem Ehrengast Frau Ministerin
Ulvskog für ihr Interesse an unserer Föderation und ihren Zielen.